Die Klimawende braucht mehr dezentrale Energieerzeugung

Gastbeitrag von CEO Thomas P. Wagner für Capital

Wenn ich nach der aktuell größten Herausforderung bei der Energie- und Klimawende gefragt werde, so lautet meine Antwort: Gravierende Wissenslücken. Und damit meine ich weniger, dass Klimaschutzgesetzgebung und CO2-Bepreisung im Eilverfahren und in kurzfristigsten Verbändeanhörungen durchgehechelt werden, informelle Runden in Hinterzimmern das offizielle Vermittlungsverfahren zu den steuerrechtlichen Aspekten des Klimapakets konterkarieren und somit insgesamt die Transparenz von Gesetzgebungsverfahren noch mehr abnimmt, falls das überhaupt noch geht.

Ich meine vornehmlich Unkenntnis der politischen Entscheider über Möglichkeiten, die bereits jetzt vorhanden sind, die bereits jetzt anwendbar, wirtschaftlich, skalierbar und umweltfreundlich sind. Nicht bestimmte Spezial-Power-to-X-Technologien, die zu leuchtenden Augen auf jeder Podiumsdiskussion führen, aber sich aktuell leider nur mit massiven Förderungen überhaupt rechnen würden. Nicht die im Moment doch recht theoretische Frage, den strategischen Erdgasspeicher mit Grüngas und Wasserstoff zu füllen, um dreiwöchige Dunkelflauten gänzlich ohne Heizkraftwerke zu überstehen.

Der Wärmesektor wird vernachlässigt

Vielmehr sollte man sich intensiver mit den Möglichkeiten der heutigen dezentralen industriellen Energieerzeugung befassen. Lange Zeit wurde die Energiewende nur als Stromwende diskutiert und wahrgenommen. Doch bis heute geht der weitaus größere Teil der erzeugten Energie in den Wärmesektor. Auch die Sektorkopplung wurde vorwiegend als Einbahnstraße diskutiert. Vom erneuerbaren Stromüberschuss in die Sektoren Gebäude und Verkehr. Einbeziehung des Wärmemarktes? Fehlanzeige.

Auch im politischen Berlin wird noch zu sehr im Strom- und nicht im Wärmemarkt gedacht. In den Köpfen vieler Politiker ist noch ein Bild von der industriellen Energieerzeugung aus der frühen Nachkriegszeit verankert. Als riesige Anlagen mit qualmenden Schloten noch die Energieerzeugung des Industrieunternehmens verkörperten.

Die Realität sieht längst anders aus. Die Energiewelt von morgen ist smart, grün, effizient und dezentral. Moderne KWK-Anlagen erzeugen Prozesswärme und Strom für den Produktionsstandort, hocheffizient mit Wirkungsgraden jenseits von 90 Prozent. Innovative Energiedienstleister sind heute längst in der Lage, Restwärme rückzuführen und zu transformieren oder im „Waste2Value-Ansatz“ Reststoffe und klimaschädliche Sondergase aus der Produktion wieder thermisch zu verwerten.

Weiterhin speisen moderne Industrieanlagen längst auch in das öffentliche Stromnetz aus und sichern die Residuallast ab. In Kombination mit Batteriespeichern am Industriestandort können diese ganzheitlichen Anlagen sogar die so wertvolle Primärregelleistung zur Stabilisierung der durch volatile erneuerbare Energien belasteten Netze liefern. Microgrids sorgen für zusätzliche Versorgungssicherheit am Standort. Moderne dezentrale Energieerzeugung ist nicht Bremse, sondern das Multifunktionstool für das Gelingen der Energiewende.

Stattdessen wurde gerade diese Möglichkeit durch den Gesetzgeber nicht nur ignoriert, sondern bewusst kleingehalten. Industrielle Betreiber von dezentralen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) müssen EEG-Umlage zahlen, auch wenn sie ihren verbrauchten Strom selbst erzeugen. Der Vergleich mit dem berühmten Fahrraddynamo, für dessen selbst erzeugtes Licht eine staatliche Umlage erhoben wird, ist oft bemüht worden. Gleichwohl ist er ordnungspolitisch zutreffend.

Technologieoffenheit mutiert zur Floskel

Bereits davor wurde über die letzte KWK-Gesetzgebung die Förderung von industrieller KWK vollständig gekappt, obwohl diese Anlagen hocheffizient sind und ganzjährig laufen und in hohem Maße Wärmesenken heben. Ganz anders die Aufrechterhaltung der Förderung kommunaler KWK-Anlagen, die nur in den Wintermonaten Wärme liefern müssen und somit gesamtwirtschaftlich weniger effizient sind.

Auch die aktuellen Pläne zur KWK-Gesetzgebung lassen leider nicht vermuten, dass diese Argumente Gehör finden. Industrielle KWK wird und wurde ständig neu belastet. Sie ist offenbar nicht die „richtige“ Technologie in den Augen politischer Entscheider. Technologieoffenheit mutiert zur Floskel. Dezentrale industrielle Energielösungen sind wirtschaftlich, sie sind skalierbar und absolut versorgungssicher. Und gleichzeitig ermöglichen sie Unternehmen, ihren CO2-Fußabdruck substanziell zu reduzieren. Hier bieten sich enorme Chancen. Die Politik sollte das erkennen und danach handeln.

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07.01.2020 

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